Was die Deutschen von Neymar lernen können

Zuerst erschienen am 07. Juli 2014 auf Handelsblatt.com.

Natürlich hat Ex-DFB-Pressesprecher Harald Stenger recht, wenn er sagt, dass Tore wichtiger sind als Tweets. Dass sich Treffer auf dem Rasen und im Netz nicht ausschließen, zeigt zum Beispiel Brasilien-Star Neymar. Der Seleção-Topstürmer liegt nicht nur in der Torschützenliste relativ mit vorn, sondern ist auch der WM-Spieler mit den meisten Erwähnungen auf Twitter.

Social-Web bietet direkten Zugang zu Real-Time-Fans

Die kürzlich veröffentlichten Daten des Kurznachrichtendiensts (300 Millionen Tweets in der Gruppenphase, doppelt so viele wie insgesamt bei den Olympischen Sommerspielen 2012 in London) zeigen: Echtzeit-Kommunikation im Social Web ist zu einem elementaren Bestandteil der Fankultur geworden. Kein Wunder, so zeigt etwa Twitter zeigt die gesamte Vielfalt der Fußball-WM. Politische Proteste, der Kampf gegen die Armut und die lächerliche Plakatzensur durch die FIFA in den Stadien gehören ebenso zur den im 140-Zeichen-Kanal diskutierten Themen, wie hochspannende Fußballspiele und die sportlichen Überraschungen.

Das Interesse ist aber auch wirtschaftlicher Natur: Direkte Zugänge zur konsumfreudigen Fußballanhängerschaft über das Social Web sind bei Sponsoren gefragt wie nie. Die aktuelle Social Trends Studie von Tomorrow Focus, wonach fast die Hälfte der Deutschen während den WM-Spielen und fast 40 Prozent der Frauen sowie 30 Prozent der Männer Social-Media-Kanäle das Smartphone als Second Screen nutzen, zeigt das Potenzial sehr deutlich.

Mit Twitter TV-Reichweiten überflügeln

Für Profifußballer, die sich sonst eher als Spielball der Medien sehen, ist das Social Web eine nie dagewesene Chance. Nicht nur die Macht über Nachrichten kann fester in eigenen Händen gehalten, sondern auch der eigene Werbewert deutlich erhöht werden. Wer durch das Setzen von Themen Nachrichten selbst generiert, aber auch Interaktion mit der eigenen Anhängerschaft in den Mittelpunkt rückt, wird mit seinem Twitter-Profil Reichweiten erzielen, die deutlich über denen von etwa TV-Sendern liegen. Erfolgreiche Spieler-Kanäle, authentisch und mit redaktioneller Unterstützung geführt, werden im Web zu wichtigen Werkzeugen im globalen Ringen multinationaler Konzerne um Retweets, Favoriten und einen Zugang zur attraktiven Zielgruppe der Real-Time-Fußball-Fans.

Werbe-Einbahnstraße enttäuscht Fans 

Was in der Theorie einfach und logisch klingt, funktioniert in der Praxis bei den DFB-Spielern sonicht. Einzig Mesut Özil besitzt eine Twitter-Reichweite, die sich mit den Topstars anderer Teams vergleichen lässt. Özil profitiert jedoch davon, bei Real Madrid gespielt zu haben, den am besten vermarkteten Klub der Welt. Außer schicken Bildern postet Özil kaum etwas. Dialoge mit Fans, das bewusste Setzen eigener Botschaften, Blicke hinter die Kulissen oder das oder Promoten eigener Projekte? Fehlanzeige.

Der der digitale Özil-Kanal unterscheidet sich nicht von der glatten und langweiligen PR des DFB-Teams und wird nur noch von dem 140-Zeichen-Profil von Bastian Schweinsteiger und Twitter-Neuling Mats Hummels unterboten. Außer Profilbild und Posts, die den DFB-Ausrüster Adidas umgarnen, gibt es dort nichts zu sehen. Die trostlosen Kanäle wirken schon auf den ersten Blick als pure Reichweitenverlängerung der Sportmarke mit den drei Streifen. Solche Profile sind nicht nur langweilig, sie enttäuschen Fans. Und damit wäre es besser, es gäbe sie gar nicht mehr.

Kein Wunder, dass Hummels seinen ersten Tweet gleich mit einem Sponsoren-Hashtag versah und Abwehr-Kollege Mertesacker sich erstmal für die Adidas-Schuhe zum 100. Länderspiel freute, bevor er seine Begeisterung über das bevorstehende Jubiläumsspiel twitterte. Einzig Lukas Podolski ist mit seinem Kanzlerin-Selfie und 460.000 Likes nach dem Auftaktsieg gegen Portugal ein Social-Media-Coup gelungen, der auch für Schlagzeilen außerhalb sozialer Netzwerke sorgte. Eigentlich sollten Sportkonzerne, Spieler (mindestens aber ihre Berater) wissen, dass Einbahnstraßen-Kommunikation im Web nicht funktioniert, der eigenen Marke nichts bringt und sich Investitionen so auch nicht rentieren.

Authentisch kommunizieren, mit Fans interagieren 

Wie es gehen kann zeigt Neymar. Mit einem Mix aus persönlicher Information, Interaktion mit Fans ist der Brasilianer authentisch und wie die Zahl von 12 Millionen Follower zeigt, auch erfolgreich unterwegs. Natürlich nutzt der Selcecao-Star seine Reichweite auch, um Kampagnen seiner Sponsoren mit ihm zu promoten – aber eben dosiert. Im Gegensatz zu den meisten DFB-Spielern lässt er sein Profil nicht zu einer digitalen Litfaßsäule verkommen. Digitales Marketing funktioniert eben nur dann, wenn Kampagnen authentisch sind, Fans einbezogen werden, Beteiligung ermöglicht und das Abonnement eines Social-Web-Kanals zum persönlichen Mehrwert wird. Das werden auch die großen Konzerne und ihre Partner im Sport noch lernen müssen.

By danielmack

Über mich

Tech-Optimist. Aktiv als Mitglied in Parlamenten und in der Wirtschaft als Strategie- und Politikberater mit dem Fokus auf Technologie, Innovation, Digitalisierung und Mobilität.

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