Ich bin so hessisch, wie ein Hesse nur hessisch sein kann

zuerst erschienen in DIE WELT

Mein Name ist Daniel Mack, ich komme aus Bad Orb, bin dort in die Grundschule und zur Kommunion gegangen. Danach war ich Messdiener, für jeden Gottesdienst ein Märkchen in ein Heft geklebt, um es in der Adventszeit einzulösen und 25 Mark zu bekommen. Die Fußballhelden meiner Jugend hießen Jürgen Klinsmann und Thomas Häßler. Erwachsen geworden bin ich mit deutschem Hip Hop. Beginner, Samy Deluxe, Sabrina Setlur, Moses P. Mit dem Ami-Kram konnte ich erst viel später etwas anfangen.

Heute lebe ich in Berlin. Wenn mein Land Fußball spielt, singe ich vor dem Spiel mit anderen im Biergarten die Nationalhymne mit. Ich mag das Lied. Einigkeit und Recht und Freiheit. Besser geht’s nicht. Bier trinke ich dabei nicht so gerne. Lieber Riesling, besser aus dem Rheingau als aus der Pfalz. Ich bin schließlich Hesse, liebe meine Heimat und war für sie im Parlament. Für mich gibt es nur wenig Schöneres als den Spessart im Herbst und den Blick auf die Frankfurter Skyline.

Wenn sich die untergehende Sonne in den 200 Meter hohen Glasfassaden goldgelb spiegelt, fehlen mir die Worte, so schön ist der Moment. Und im Stadtwald spielt mein Verein. Eintracht Frankfurt. 51.500 Adlerträger. In keinem Stadion in Europa ist die Stimmung besser. Gänsehaut. Egal, wo ich lebe, zwei Heimspiele pro Saison sind immer Pflicht. Jetzt sind wir auch noch Pokalsieger. Nach 30 Jahren wieder. Unfassbar, mein erster Titel. Am 19. Mai schossen uns Ante Rebić und Mijat Gacinović in Charlottenburg, meiner zweiten Heimat, zum Titel. Hessen hat alles, was ich benötige, um glücklich zu sein.

Logisch, dass „Hessen“ meine Antwort ist, wenn mich Menschen in Berlin fragen, woher ich komme. Die Nachfrage, wo ich denn wirklich herkomme, habe ich noch nie verstanden. Ich meine, den hessischen Dialekt nie wirklich loszubekommen. Wieso auch? Und warum soll ich kein Hesse sein? Ich erzähle mehr. Spessart, Eintracht, Riesling. Glaubhaft ist das oftmals nicht. „So sehen Sie aber gar nicht aus.“ – „Doch, doch. Wir Hessen sind bunt.“ – „Ja, aber von wo sind Sie eingewandert.“ – „Von nirgendwo“ – „Ich weiß nicht, warum Sie jetzt so abweisend und unfreundlich sind.“

Unfreundlich? Okay, ich habe keine blauen Augen und blonde Haare. Aber hallo? Wenn man aus dem Herzen von Europa kommt, aus der wirtschaftsstarken Rhein-Main-Region, ist es nicht wirklich verwunderlich. Oder etwa doch? Warum muss ich mich immer als Deutscher zweiter Klasse fühlen? Warum fragt man mich ständig nach einer Integrationsgeschichte, die ich nicht habe? Oder soll ich auf die Frage, wie ich hierhergekommen bin, ernsthaft antworten, dass ich das Bordbistro im ICE ab Hanau genutzt habe?

Auf mein Pokaltrikot musste Boateng
Passiert es eigentlich auch anderen Anhängern, dass sie im Deutschlandtrikot mit der Nr. 5 gefragt werden, ob es das Trikot von Boateng oder Khedira sei? Was sind das für Fans? Die beiden tragen die Nummern 17 und 6. Okay, aktuell trägt Mats Hummels die 5, bei mir steht aber Beckenbauer hinten drauf. Warum auch nicht? Der Kaiser war ein Ausnahmespieler und ist aus so vielen Gründen eine Legende. Ich mag ihn einfach. Warum traut man mir nicht zu, dass ich ihn trage?

Auf mein Pokaltrikot musste Boateng. Wer neben dem Platz so offensiv für die offene Gesellschaft eintritt und auf dem Feld mit Vorlagen, Toren und Kampfgeist glänzt, hat seinen Platz auf meinem Eintracht-Frankfurt-Trikot mehr als nur verdient. Ich trug es das gesamte Pokalwochenende über mit Stolz. Jetzt hängt es eingerahmt bei mir zu Hause. Mehrmals wurde ich gefragt, welchen Spieler ich auf dem Trikot trage. „Boateng, wen sonst?“ – „Klar, ihr haltet ja zusammen.“ – „Wer wir?“ – „Ihr Ausländer.“ – „Lustig. Der Prince kommt aus Berlin, aber wer aus einem anderen Bundesland kommt, ist noch lange kein Ausländer.“

Oder doch? Muss ich mich auf Events verstärkt unter Weiße mischen, weil ich sonst – so geschehen vor zwei Wochen – im Gespräch mit zwei Staatsskretärinnen schnell im „Migrantentalk“ bin, wie es ein älterer Herr danach lustig kommentieren wollte. Thema mit den beiden Damen war übrigens gar nicht Politik, sondern Gin. Der aus dem Schwarzwald soll gut sein.

Ich habe kein großes Problem, wenn man mich nicht für dazugehörig hält. Über all die Jahre habe ich gut gelernt, wie ich damit umzugehen habe, es hat mich stark gemacht. Ich schaue jeden Morgen in den Spiegel, finde alles gut so. Und für die etwas traurigeren und unangenehmen Momente gibt es Freunde, denen ich dankbar bin.

Was mich viel mehr umtreibt, ist die Sorge, was es mit anderen macht. Wir leben im besten Deutschland, das wir je hatten. Noch nie gab es so viel Freiheit, so viele Jobs und so wenig Kriminalität. Der beliebteste Politiker in Deutschland heißt Cem Özdemir, in Hessen heißt er Tarek Al-Wazir.

Und doch hat sich etwas verändert. Es ist nicht einfach, anders zu sein, woanders herzukommen oder anders auszusehen. Genau deshalb braucht es mehr Özdemirs und Al-Wazirs. Auch in der Wirtschaft. Mehr solcher starken Frauen wie Janina Kugel. Vorne, nicht auf Platz 2. Wir werden uns den Optimismus von niemandem nehmen lassen. Wir haben keine Angst, wir machen anderen Mut.


By danielmack

Über mich

Tech-Optimist. Aktiv als Mitglied in Parlamenten und in der Wirtschaft als Strategie- und Politikberater mit dem Fokus auf Technologie, Innovation, Digitalisierung und Mobilität.

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