von Cem Özdemir, Katrin Göring-Eckardt, Ekin Deligöz und Daniel Mack
Die kollektive Begeisterung zur Fußball-Europameisterschaft bietet aktuell den Anlass für die Debatte, ob hier nationalistischen Tendenzen und gesellschaftlicher Ausgrenzung Vorschub geleistet werde.
Unser DFB-Team spiegelt eine offene und integrative Gesellschaft wider: Derzeit sind sieben Fußballer mit Migrationshintergrund in der deutschen Nationalmannschaft. Ein solch selbstverständliches Dazugehören, eine so unbeschränkte Teilhabe wünschen sich auch viele Einwohnerinnen und Einwohner Deutschlands, die – oder deren Vorfahren – aus anderen Regionen der Erde stammen. Für viele von ihnen stellt sich die Frage gar nicht, ob Deutschland oder ein anderes Land ihre Heimat ist: Sie gehören selbstverständlich dazu, auch ohne ihre Wurzel zu kappen. Immer häufiger sieht man deshalb Autos, Wohnungen und Fans, die mit zwei verschiedenen Flaggen geschmückt sind. Auf den Fanmeilen wird friedlich gemeinsam und im Wettbewerb miteinander gefeiert. Beim Jubel über ein Tor des DFB-Teams spielt die Herkunft des Schützen und des Fans keine Rolle.
Auch außerhalb des Sports wollen die Kinder dieser bunten Republik dazugehören. Und für uns Grüne gehören sie dazu. Längst haben Menschen doppelte Staatsbürgerschaften und identifizieren sich mit mehr als einer Gesellschaft und Kultur. Zudem gibt es eine klare Tendenz, dass junge Menschen mit zwei Pässen sich bewusst für den einen, den deutschen Pass entscheiden. Für diese ist Deutschland längst Teil ihrer Identität geworden. Als Teil dieser Gesellschaft wollen sie ihre vollen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten in Anspruch nehmen.
Zurück zu den Flaggen: Natürlich sind unter manchen Fußballfans auch Einstellungen jenseits humanistischer und demokratischer Werte vorhanden. Diese Tendenzen dürfen nicht verharmlost werden. Gerade aufgrund unserer Geschichte ist ein kritischer Umgang mit der Verwendung von nationalen Symbolen wichtig und notwendig. Wir Grüne setzen uns mit größtem Engagement dafür ein, menschenfeindliche Haltungen zu bekämpfen.
Fußball kann eine wichtige gesellschaftliche Dimension haben – wenn er ein Spielfeld für Integration und Partizipation ist mit einer deutlichen Absage an Rechtsextremismus und Rassismus. Rassistische Bestrebungen, rechtsextremes Gedankengut sowie Ausgrenzung von Menschen dürfen weder auf dem Platz noch in den Fankurven, noch vor den Public-Viewing-Leinwänden einen Platz haben.
Einige stören sich dieser Tage an der vermehrten Präsenz der Deutschen Flagge infolge der Fußballeuropameisterschaft. Für sie ist ein schwarz-rot-goldenes Meer ein Anzeichen für gefährlichen Nationalismus. Nationalismus gedeiht aber vor allem dann, wenn wir den Nationalisten die Symbole unseres freiheitlichen und demokratischen Staates überlassen. Das sollten wir keinesfalls tun. Die Farben der Nationalflagge knüpfen an die Tradition des Paulskirchenparlaments und der Weimarer Republik an. Sie stehen für den demokratischen Rechtsstaat, der mit seinem Grundgesetz Einigkeit, Recht und Freiheit für alle schützt. Und übrigens stehen sie neben vielen weiteren Errungenschaften mittlerweile für eine Gesellschaft, deren Zugehörigkeit nicht mehr dem Abstammungsprinzip, dem ius sanguinis, dem Recht des Blutes folgt.
Wir verstehen das Schwenken der Deutschen Flagge als Ausdruck eines gesellschaftlichen Teamgeistes, der Identifikation mit einer Nationalmannschaft, die Vorreiter eines modernen und dynamischen Fußballspiels ist, aber zugleich als Manifest der uneingeschränkten Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund verstanden werden sollte. Symbole, die unsere Grundwerte nach außen wie nach innen vertreten, dürfen nicht rechtsextremistischer oder nationalistischer Deutungshoheit überlassen werden.
Es sind Grundwerte – etwa Meinungsfreiheit, Gleichstellung von Mann und Frau, Recht auf sexuelle Identität -, die in unserem Grundgesetz niedergeschrieben sind, für die aber Menschen in vielen Regionen der Erde unter Einsatz ihrer persönlichen Existenz streiten müssen. Wir haben eine Verfassung, die Gewaltenteilung, die demokratische Prozesse regelt, und wir haben Grundrechte. Unser Grundgesetz garantiert die Freiheit zur gesellschaftlichen Teilhabe, zur Selbstverwirklichung für alle. Das ist das Deutschland, dem wir beim Fußball zujubeln und mit dem wir uns identifizieren.
Der neue Patriotismus steht für eine deutliche Abgrenzung von einer Monoethnisierung unter Überwindung tradierter nationalstaatlicher Identitäten. Er feiert die Wir-Gesellschaft, die sich nicht durch Mehr- und Minderheiten definiert, sondern durch Vielfalt und Solidarität, durch gemeinsame Chancen und bewältigte Herausforderungen.
Was der Sport schon schafft, muss die Gesamtgesellschaft allerdings noch erreichen: In puncto Teamgeist und Teilhabe können wir uns bei der Nationalmannschaft noch einiges abschauen. Mesut Özil, Lukas Podolski , Sami Khedira, Philipp Lahm und Co sind das Abbild einer modernen und weltoffenen Gesellschaft im 21. Jahrhundert und damit Vorreiter für Wirtschaft und Gesellschaft.